Ich war ein Gottkönig

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Sushi

...Think like a Gamer #16

Ich war ein Gottkönig
 
von Goldenen Zeiten
 
 
 
- Die Zeit in der ich herrschte -
 
Drei Jahre Vorsprung hatte ich. Drei Jahre in denen ich mir mehr Gewicht anfressen konnte, mehr Muskeln ausbildete und Erfahrung sammelte. Dabei kam es nicht darauf an ob es um Kampf ging, Hinterlist, die Liebe oder dubiose Tauschgeschäfte. Ich war in allem drei Jahre voraus und genau das machte mich zum Herrscher. Zum König quasi und ich war mehr oder weniger eine Instanz, gefürchtet sogar von einigen (wenigen) Müttern. Das war ich vor etwa 16 Jahren auf dem Spielplatz. Meine 8-jährigen Untertanen konnten nicht viel mehr tun als meinen Befehlen zu gehorchen, da ich sie andernfalls dazu gezwungen hätte. Ja, es war meine Zeit und die Ära meiner größten Macht. Doch die Nähe zum einfachen Volk war mir wichtig. Mein kleiner Bruder beispielsweise, ebenfalls drei Jahre jünger, war mein Partner und gemeinsam bildeten wir ein unschlagbares Double-Team. Neben Schlägereien, Kloppe mit Schaufeln (aus Plastik, aber groß), Kinnhaken für freche Mädchen und dem Vollstopfen diverser Versager mit frisch gemähtem Rasen, lag mein persönliches Hauptaugenmerk vor allem auf der Vergrößerung meiner Game Boy Spielesammlung.
 
Genau wie ich, allerdings trug ich Ballonseide
 
 
- Entwicklung, Erweiterung -
 
Mein grauer, eckiger Freund war mir seit dem Tag an dem ich ihn das erste mal in den Händen hielt ein treuer Begleiter. Leider hielt ich es damals für klever das Gerät ein wenig zu individualisieren. Und spontan wie ich war, schnappte ich mir einen Edding und malte sorgfältig die Rillen des Batteriefachs aus - und das bis zum Rand der kleinen Spielemaschine. Das Ergebnis sprengte sämtliche Geschmacksgrenzen, aber es sollte ja auch just mir allein gefallen. Viele Stunden später übrigens, war der Edding dann vom Schweiß meiner Hände individuell zerlaufen. Wunderschön!
 
Doch zurück zum Spielplatz, da es ohne den nicht funktioniert hätte. Schlimmer noch als der Schulhof, war der Spielplatz bei uns der Umschlagplatz für diverse Tausch- und Leihgeschäfte. Hinter Sträuchern versteckt und im toten Winkel der mütterlichen Augen, holte man die grauen Module aus der Tasche und betrachtete argwöhnisch das Angebot seines Gegenüber. Sauber ging es damals selten zu, es waren harte Zeiten. Allerdings konnte ich, bedenkt meinen Status als Gottkönig, den Preis für die Module ziemlich locker um ein paar Mark drücken. Eigentlich konnten die kleinen Kinder froh sein wenn ich überhaupt Bargeld auf den Tisch legte. Schutzhüllen, Bedienungsanleitung und Co. waren damals unnötiger Luxus und die meisten besaßen nicht mehr als das nackte Modul. Ich selbst hatte neben einer schicken Gürteltasche für den mobilen Einsatz auch noch eine große schwarze Tasche für die Komplette Sammlung. 32 Games konnte man in die dafür vorgestanzten, mit Fake-Samt überzogenen Formen legen, der Game Boy selbst bildete des Zentrum. Geld spielte in diesen Tagen eine andere Rolle als jetzt. Knapp ist es zwar auch heute noch, damals jedoch war ein Spiel mehr oder weniger unbezahlbar. Demnach war man auf hinterlistige Aktionen und Diebstahl angewiesen. Es war in der Regel so, dass die einzige Möglichkeit zum Schutz vor arglistigen Individuen wie mir, in einem blauen Filzstift lag. Mit solch einem Filzer markierte fast ausnahmslos jeder die eigenen Spiele. Fett prangten auf der Rückseite die Initialen des ursprünglichen Besitzers. Ursprünglich deshalb, weil ich eigentlich niemanden kenne, der nur seine eigenen Games besaß. Es wurde getauscht, weiter verliehen, gelogen und wenn jemand mal auf der Suche nach seinem Spiel war, konnte man immer noch "Hab ich nicht mehr" sagen. Da meine 8-jährigen Untertanen meinen Zorn fürchteten keine schlechte Ausrede. Mit faulen Tricks und miesen Geschäften gelang es mir damals sogar Burai Fighter Deluxe zu ergattern. Mir kam es früher so vor, als handle es sich dabei um ein seltenes Stück Software. Das Spiel selber begeisterte mich aber nur am Anfang, ich spielte ganz andere Games: Skate or Die, Super Mario Land, Solar Striker, Turtles oder Gargoyles Quest. Des Englischen nicht mächtig, hatte ich keinen Plan was bei dem Spiel wirklich abging und zu tun war. Die Konsequenz: Jede Woche begann ich ein neues Spiel und besiegte den riesigen Fisch Endgegner der zu Beginn auftaucht. Bizarre Erinnerungen... Unbestritten waren auch meine Qualitäten bei Double Dragon. Hier war ich so gut, dass sich oft viele kleine Kinder hinter mir scharten und mir beim Spiel zuschauten. Einmal habe ich meinem kleinen Bruder damit sogar eine Party mit seinen Freunden ruiniert. Nicht das ist es darauf angelegt hätte...
 
Das ist er wirklich, der Spielplatz. Mittlerweile aber stark umgebaut.
 
 
- Andere Welt -
 
Die Überschrift hat recht, es war eine andere Welt. Meist konnte man sich nur durch Verkaufsstände auf Wolldecken über Wasser halten und musste für den schnellen Gaming-Kick oft viel riskieren. Die Mütter waren auch nicht begeistert davon, dass man an der frischen Luft nur Augen für den Game Boy hat und so entstand eine Art Untergrund Club, mit vielen geheimen Ecken und Orten an denen gezockt werden konnte. Wenn ich mich so erinnere, dann waren es wirklich harte Zeiten: Heute gibt es übergroße Displays, farbige Bildschirme, 3D für unterwegs, Mädchenspiele und Dinge wie Sprachausgabe. Wir hatten damals grün-graue Klötzchen, keine Save Funktion und haben uns trotzdem durchgebissen. Es war hart, dreckig, teilweise ein richtiger Alptraum, aber wir waren Gamer. Wir liebten Games wie World Cup, bei dem auf dem Spielfeld der Japaner Steine rumlagen, wir liebten Probotector und hatten keine Ahnung das es im Original gar nicht um Roboter ging, wir spielten Motocross Maniacs und drehten stundenlang Loopings, ohne uns auf einen Online-Highscore konzentrieren zu müssen.
 
Rückblickend betrachtet hatte ich einen unglaublichen Verschleiß an Game Boy Modulen. Einige Dinge werde ich nie vergessen, wie meine ersten Qix Partien, die grandiose Musik von Ninja Gaiden, das Unverständnis für a Boy and his Blob, grandiose Momente mit Link und natürlich die gefakten 100 in 1 Module aus Spanien. Was ich allerdings gar nicht auf die Kette kriege, ist die Zeitspanne. Es ist so, als hätte mich der Game Boy durch viele Abschnitte meines Lebens begleitet. Ich erinnere mich an kindliche Zeiten mit meiner Nachbarin einem Link Kabel und Tetris, an harte Zeiten auf dem Spielplatz und an reifere Zeiten mit Link's Awakening und meinen Freunden auf der weiterführenden Schule. Die Ära des Game Boy war lang und großartig. Konkurrenten wie der Lynx wurden trotz besserer Technik abgestraft (gut, das Teil wog etwa 14kg und brauchte 112 Batterien), aber auch der Game Gear war für mich völlig uninteressant. Ich war voll und ganz Nintendo. Irgendwann jedoch, endete die Zeit des grauen Geräts. Und plötzlich ging alles ganz schnell. Der Game Boy in bunten Gehäusen, der Game Boy Color, der Game Boy Pocket und plötzlich hatte ich schon den Advance in Händen. Erst breit, dann schmal, dann auf einmal den DS und seine mittlerweile drei Nachfolger. Die breite Masse möchte scheinbar unterhalten werden, es ändert sich alles rasant. Mir hat der urige Game Boy damals gereicht. Er blieb jahrelang so wie er von Gott geschaffen wurde. Erinnerungen an tolle Videospiele habe ich viele, aber es wird immer der Game Boy sein, der mit dem kleinen roten Licht neben dem Display, der mich durch die magischen Kindertage begleitet hat. Für mich persönlich endete der wichtige Abschnitt in meinem Leben in einem Schwimmbad. Sorgt euch nicht, er ist nicht ins Wasser gefallen, nein, aber dort verkaufte ich ihn an einen Mitschüler. Wieviel Kohle hab ich ihm denn damals dafür abgenommen. 20 Mark? War es so wenig? Ich weiß es nicht mehr. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt ein neues blaues Modell in den Händen. Dem fehlte allerdings die Seele. Game Boys müssen meiner Meinung nach scheisse aussehen, nicht neu und gepflegt, denn nur so kenne ich ihn. Einzig die Verpackung sollte schick sein, mit ihren Roboterhänden und den feschen Gitteroptik.
 
Widmen möchte ich dem Bericht aber nicht nur dem Game Boy, sondern auch meinem kleinen Bruder. Der hatte vor wenigen Tagen Geburtstag und ist maßgeblich an den Erinnerungen beteiligt. Alles Gute - und sei froh das ich Double Dragon nicht mehr habe!
 
Eine eher neumodische Kollektion
 
 
Hund, Tetris aber vor allem: Die geilste Gürteltasche der Welt
 
 
Schööön!
 
 
Ich habs echt nicht gerafft
 
 
Ich erinnere mich sogar noch an die Soundeffekte
 
 
Was ein Geschoss...
 
 
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