Über 25 Jahre und unzählige Videospielableger nach der ursprünglichen Veröffentlichung von Pokémon Rot & Blau schwimmt das Franchise noch immer auf einer endlos wirkenden Erfolgswelle. Die Hauptreihe knackt, egal ob Remake oder nicht, problemlos und in aller Regelmäßigkeit die Marke von 10 Millionen verkauften Exemplaren. Schwert & Schild schlugen kürzlich sogar die Klassiker Gold & Silber und sind damit hinter den Originaltiteln die meistverkauften Pokémon-Spiele überhaupt. Doch eingefleischte Pokémon-Fans dürften ebenfalls mitbekommen haben, dass eine laute, kaum überhörbare Gruppe an Spielern von Ableger zu Ableger immer frustrierter zu werden scheint. Entwickler GAME FREAK sei zu behäbig bei der Implementierung von lange gewünschten Neuerungen, streiche all zu gerne mal gute Ideen im Nachfolger wieder heraus und lege zu wenig wert auf eine zeitgemäße Präsentation. Soweit die Vorwürfe. Umso gespannter war die Fangemeinde auf den Release von Pokémon-Legenden: Arceus, durch dessen Ankündigung zur Feier des 25. Jubiläums der Reihe viele Vergleiche mit gewissen anderen Spielereihen laut wurden, denen in näherer Vergangenheit eine Rundumerneuerung geglückt ist. Bringt Pokémon-Legenden: Arceus also den erhofften frischen Wind?
Willkommen in einer neuen, alten Welt
Gleich zu Beginn der Reise fällt auf, dass GAME FREAK es mit dem Entkrusten wohl ernst zu meinen scheint. Anstatt der ewig gleichen Prämisse des Dorfjünglings, der loszieht um der aller Beste zu werden, spielt man einen jungen Teenager, der durch einen Riss im Raum-Zeit-Gefüge aus seiner Welt gerissen wird und hunderte Jahre in der Vergangenheit in der Sinnoh-Region (bekannt aus Diamant & Perl) landet, die zu diesem Zeitpunkt als Hisui-Region bekannt ist. Hisui, welches deutlich vom feudalen Japan inspiriert wurde, bietet als Setting Möglichkeiten, die so bisher nicht in Pokémon-Spielen umgesetzt werden konnten und setzt diese erfrischend konsequent um. In dieser Welt sind Pokémon noch kaum erforscht und dementsprechend im Auge der Bewohner nicht die allerbesten, liebreizenden Haustier-Kampf-Freunde wie die Spieler sie kennen, sondern unbekannte, furchterregende Kreaturen. Die entsprechenden Reaktionen von NPCs und Missionsgebern fügen sich zu einem glaubwürdigen Gesamtbild und erzeugen eine etwas ernstere Stimmung, als man es bislang gewohnt war. Und an dieser Stelle kommt die Galaktik-Expedition ins Spiel: der Forschertrupp hat es sich zur Aufgabe gemacht, mehr über Pokémon zu erfahren und stellt dazu euch, als glücklicherweise besonders talentierten Pokémon-Fänger, direkt als Gehilfen ein.
Suchtmittel mit Beigeschmack
Der Forscheraspekt ist nicht nur der Kern der Handlung, sondern vor allem auch Dreh- und Angelpunkt des Gameplays von Pokémon-Legenden: Arceus. Aus der Siedlung Jubeldorf, die als Zentrum für eure Reisen dient, brecht ihr in verschiedene, voneinander getrennte Areale der Hisui-Region auf, um dort Aufgaben zu erfüllen und Pokémon zu erforschen. Euren Pokédex füllt ihr nicht mehr schlicht durch das Fangen einer entsprechenden Kreatur, sondern schrittweise durch das Erfüllen verschiedener Aufgaben, die für jedes Pokémon zur Komplettierung eines Eintrags zu erledigen sind. Hierfür könnt ihr beispielsweise eine bestimmte Anzahl des Pokémon fangen oder besiegen, Entwicklungen durchführen, bestimmte Attacken beobachten oder besondere Varianten fangen. Besonders positiv hierbei ist, dass man sich aussuchen kann, welche der Aufgaben man für die Komplettierung erledigen möchte. So werden verschiedene Spielertypen nicht gezwungen Aufgaben zu wiederholen, die ihnen nicht liegen. Durch das Fangen und Komplettieren des Pokédex steigt ihr im Forscherrang auf, wofür ihr verschiedene Belohnungen erhaltet. Und man kann es nicht anders sagen: das Entdecken, Fangen, Komplettieren und im Rang aufsteigen führt schnell zu einem Suchtkreislauf im positivsten Sinne. Selbst wenn ihr euch in der Vergangenheit womöglich nicht zu denjenigen gezählt habt, die ein Pokémon-Spiel erst nach der Vervollständigung des Pokédex beiseite gelegt haben, könnte euch dieses simple Spielprinzip in seinen Bann ziehen. Da Pokémon-Legenden: Arceus einen solch großen Fokus auf die Forschungsmechaniken legt, kommt es dem Spiel besonders zugute, dass GAME FREAK bei diesem Aspekt eine Punktlandung hingelegt hat.
Besonders ist diesmal jedoch nicht nur, was es zu erledigen gilt, sondern vor allem wie. Ihr entdeckt Pokémon direkt beim Erkunden der Areale und könnt diese selbst konfrontieren indem ihr beispielsweise einen Fangversuch per Pokéball unternehmt oder eure eigenen Pokémon in die Nähe des Zielobjekts werft, um an Ort und Stelle einen Kampf zu beginnen. Ohne Abblende und das Laden einer generischen Kampfarena. Sichtbare, wilde Pokémon sind zwar seit Pokémon Let's Go sowie Schwert & Schild nichts Neues mehr für die Reihe, doch die Umsetzung dieser Idee ist nun deutlich dynamischer und involviert den Spieler weit mehr, als bloß mit dem Spielercharakter in wilde Pokémon hineinzurennen, um eine Interaktion zu forcieren. Zusätzliche Mechaniken, wie Pokémon durch Schleicheinlagen zu überrumpeln, von ihnen angegriffen zu werden oder sie mit Ködern locken zu können, sind zwar gut gemeinte Ergänzungen, aber selten erforderlich, leicht umgehbar und spielerisch stellenweise etwas holprig umgesetzt. Speziell bei den verhältnismäßig gut inszenierten Bosskämpfen spürt man, dass diese Neuerung in Zukunft noch etwas Feintuning benötigt. Zudem wirken die umherstreifenden Pokémon teilweise etwas in der Gegend verloren, da sie meist lediglich auf einem recht kleinen Radius patrouillieren und abseits von einem gelegentlichen Nickerchen kaum lebensnahe Routinen zeigen. Dennoch führt das Erspähen eines neuen, seltenen Pokémon in der Ferne definitiv zu einem erhöhten Puls ob der Hoffnung auf einen Spitzenfang.
Beim Erkunden der Areale ist man ebenfalls sowohl mit Licht als auch Schatten konfrontiert. Die Details, die das Zentrum Jubeldorf zu einem charmanten, belebten Ort mit eigenen kleinen Geschichten werden lassen, sind in den offenen Biomen deutlich seltener zu finden. Zwar hat man durch verschiedene, reitbare Pokémon, die im Verlauf des Spiels freigeschaltet werden, durchaus interessante Wege zur Fortbewegung eingeführt. Jedoch verkommen Hügel, Flüsse und Felsen schnell eher zu einem Hindernis, das auf dem Weg zum nächsten Questmarker oder Pokémon ohne große Überlegungen möglichst schnell überwunden wird, anstatt durch interessantes Weltendesign zum Entdecken und Verweilen einzuladen. Dabei ist nicht die vielbeschworene, kaum definierbare „Leere“ das Problem an sich. Schließlich stolpert man fast im Sekundentakt über Pokémon oder Bäume und Mineralklumpen, mit denen sich interagieren lässt. Was dennoch fehlt, sind markante Stellen in der Welt, an denen das Auge hängen bleibt, die einen Ausschnitt des Gebiets besonders erscheinen lassen oder wo es auch tatsächlich etwas Überraschendes zu finden gibt, abseits eben von den Pokémon selbst.
GAME FREAK hat's gegeben, GAME FREAK hat's genommen
Was jedoch auch erwähnt werden muss, ist, dass die Neuausrichtung zugunsten der Forschung auch eine deutlich geringeren Spielraum für die altbewährten Pokémon-Kämpfe zulässt. Klassische Trainer gibt es in Hisui schließlich noch nicht, weshalb man vergleichsweise selten auf Kontrahenten trifft, die euch mit ihrem Team herausfordern. Euer Pokémon-Team kommt vor allem gegen wilde Pokémon zum Einsatz. Auch der kompetitive Faktor fällt diesmal gänzlich weg, da Kämpfe gegen andere Spieler weder lokal, noch online möglich sind. Das einzige was man mit seinen Freunden machen kann, ist Pokémon tauschen entweder online oder lokal. Das Balancing der Pokémon, Werte und Attacken ist diesmal gänzlich auf Solospieler ausgelegt. Dafür traut sich GAME FREAK nun häufiger, den Spieler auch mal auf zunächst deutlich stärkere Pokémon treffen zu lassen und somit vor eine Herausforderung zu stellen. Etwas, was in der Vergangenheit häufig frühestens im Postgame der Fall war. Den GAME OVER-Bildschirm werden erfahrenere Spieler wohl dennoch selten bis nie sehen müssen.
Ein Kritikpunkt an den letzten Ablegern der Reihe waren stets die spartanisch animierten Attacken der Pokémon. Doch diesmal kracht, blitzt und knallt es durchaus ansehnlich und die Bewegungen der Pokémon während des Angriffs passen meist zu ihrem Äußerem. Allerdings ist der Preis hierfür ein deutlich reduziertes Attackenrepertoire, das euch zum Erlernen zur Auswahl steht. Apropos Attacken lernen: eine der vielen, kleineren Komfortbesserungen des Spiels lässt euch über eine einfache Menüauswahl stets auf alle jemals erlernten Attacken eines Pokémon zugreifen, sodass ihr diese jederzeit erneut zu den vier im Kampf verfügbaren Attacken hinzufügen könnt. Features wie diese dürfen der Reihe gerne erhalten bleiben.
Ein Kritikpunkt an den letzten Ablegern der Reihe waren stets die spartanisch animierten Attacken der Pokémon. Doch diesmal kracht, blitzt und knallt es durchaus ansehnlich und die Bewegungen der Pokémon während des Angriffs passen meist zu ihrem Äußerem. Allerdings ist der Preis hierfür ein deutlich reduziertes Attackenrepertoire, das euch zum Erlernen zur Auswahl steht. Apropos Attacken lernen: eine der vielen, kleineren Komfortbesserungen des Spiels lässt euch über eine einfache Menüauswahl stets auf alle jemals erlernten Attacken eines Pokémon zugreifen, sodass ihr diese jederzeit erneut zu den vier im Kampf verfügbaren Attacken hinzufügen könnt. Features wie diese dürfen der Reihe gerne erhalten bleiben.
Präsentation.ppt
Nicht nur in der Berufswelt ist eine angemessene Präsentation wichtig, sondern auch bei Spielen. Sehr kontrovers diskutiert wurde im Vorfeld und seit des Releases vor allem über die optische Erscheinung von Pokémon-Legenden: Arceus. Jedoch lässt sich das Thema nicht auf Extreme herunterbrechen wie etwa, dass grafisch schwache Spiele nicht spielenswert seien oder umgekehrt, die Optik komplett irrelevant für den Spielspaß wäre. Vorneweg einmal etwas Positives: der comichafte Grafikstil ist passend gewählt, das Spiel hält eine hohe Auflösung von 1080p sowie eine bis auf Ausnahmen ausreichend konstante Framerate. Die Modelle der Pokémon inklusive der Größenverhältnisse wirken überzeugend, über die hübschen Angriffsanimationen wurde bereits gesprochen. Auch der Soundtrack verdient ein Lob für seine Experimentierfreudigkeit. Serienuntypisch wird dieser eher zurückhaltend eingesetzt, erzeugt dafür aber eine schöne, mysteriöse Stimmung.
Doch lässt auch dies nur schwer über einige weniger zeitgemäße Elemente hinwegsehen. Über offensichtlich niedrige Texturauflösung und Polygonarmut der Umgebung muss kein Wort mehr verloren werden. Doch auch die Darstellungen von Charakteren und Dialogen wirken mittlerweile so sehr aus der Zeit gefallen, wie der Protagonist des Spiels selbst. Selbst ohne Sprachausgabe gäbe es ausreichend Möglichkeiten, den Figuren durch markante Geräusche, Fantasiesprache oder schlicht mehr Animationen in Gesichtern und bei Bewegungen eine Seele einzuhauchen. Das belegen zahlreiche andere Spiele, die ebenfalls Textboxen nutzen. Stattdessen besteht die Mimik selbst der Hauptcharaktere aus handpuppenartigen Ausdrücken und ihre Bewegungen wirken hölzern. Das Eintauchen in die Welt der Pokémon hat für viele Spieler sicherlich auch etwas mit klassischem Eskapismus zu tun und Mängel wie diese schaden der Immersion durchaus. Hier besteht weiterhin deutliches Verbesserungspotential.