Auf Wikipedia wird der Begriff "Vaporware" wie folgt definiert: "[Produkte] deren Fertigstellung bzw. Auslieferung mehrfach oder um längere Zeit verschoben oder nie verwirklicht wurde[n]." Neben Duke Nukem Forever und Final Fantasy XV (vormals Final Fantasy Versus XIII), trifft diese Bezeichnung wohl am ehesten auf The Last Guardian zu. Die Entwicklung des dritten Spiels von Fumito Ueda begann bereits 2007, die Ankündigung folgte dann 2009.
Nach zahlreichen Verschiebungen, Gerüchten um eine Einstellung, der Neuenthüllung auf der E3 2015 und der damit verbundenen Bekanntgabe des Plattformwechsels, war es nun endlich soweit. Das Abenteuer eines kleinen Jungen und dem Katzenvogel Trico ist vor wenigen Tagen für PlayStation 4 erschienen. Ob gen DESIGN - vormals Team Ico - damit erneut ein ungewöhnliches und emotionales Meisterwerk gelungen ist oder ob The Last Guardian der langen Entwicklung zum Opfer fiel, lest ihr in unserem Review.
Wie schon bei Ico und Shadow of the Colossus, muss sich der Spieler auch bei The Last Guardian über den Spielverlauf einiges zusammenreimen. Man bekommt zwar weit mehr Story-Happen, trotzdem ist der Spieler nach wie vor gefragt. Erneut werden lange nicht alle Details über die Welt und die Vorkommnisse offenbart. Ueda schafft es erneut, dem mündigen Zocker genug Freiraum für seine Interpretationen zu lassen.
Die Geschichte des Spiels dreht sich um einen Jungen, der in einer schlossartigen Umgebung gefangen gehalten wird. Dabei trifft er auf den Katzen-Vogel-Hund-Greif-Hybrid Trico. Sofort werden die Verhältnisse klargemacht. Der Junge ist klein und zerbrechlich, Trico das große Monster, dem man sich nur schwer nähern kann. Fortan versuchen beide aus ihrem Gefängnis zu entkommen.
Über den Spielverlauf wachsen der Junge und Trico immer mehr zusammen. Am Anfang will der Katzenvogel noch gar nicht hören und wird es auch später nicht immer tun. Doch mit der Zeit kann man Trico Befehle geben, er schmiegt sich an euch und ihr könnt ihn streicheln. Mit der KI von Trico ist gen DESIGN ein Meisterstück gelungen. Noch nie war ein Tier in einem Videospiel so lebendig, bzw. realistisch. Wer von euch selbst Haustiere hat, wird Trico umso mehr ins Herz schließen.
Da wälzt er sich mal im Wasser, spielt mit einer Kette, versucht durch ein zu kleines Loch zu passen oder guckt einfach nur verträumt vor sich hin. Er macht aber nicht das, was man ihm befohlen hat. Klingt wie bei meiner Katze daheim und fühlt sich exakt so liebenswert an.
Beim Spielprinzip bedient sich Ueda seinen weiteren Spielen. Man kann es als eine Mischung aus Ico und Shadow of the Colossus bezeichnen. Während das labyrinthartige Schloss, die Umgebungen und der Junge fast wie aus Ico stammen könnten, ist das Zusammenspiel mit Trico ganz klar SotC entlehnt. Ihr bekommt also eine große Portion Puzzle, Rätsel und Kämpfe, gemischt mit Tricos eigenwilligem Verhalten.
Es kann manchmal sehr frustrierend sein, wenn man ihm Befehle gibt, er aber partout nicht hören will. Das Glücksgefühl am Ende ist dann aber unbeschreiblich größer. Man fühlt die Verbindung zwischen Mensch und Tier, wenn man den Springbefehl gibt und er springt wirklich dorthin, wo er soll. Mit R1 ruft man ihn, mit den weiteren Tasten kann man ihm verschiedene Befehle erteilen. Besonders bei einem Physik-Rätsel war aber kurz die "ich brauch gleich einen neuen DS4, wenn das Vieh nicht springt"-Grenze erreicht.
Bei den Kämpfen wird die angesprochene Zerbrechlichkeit des Jungen klar. Wehren kann er sich nicht, die Schmutzarbeit muss er seinem großen Schoßtier überlassen. Dabei haut Trico auch ordentlich rein, fegt Gegner weg oder trampelt sie gleich um. Wieso, weshalb, warum die Gegner den beiden an den Kragen wollen, wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten.
Beim Leveldesign gibt man sich keine Blöße. Alle Umgebungen und die passenden Rätsel gehen wunderbar ineinander über und wirken absolut homogen. Es gibt ein paar Kopfnüsse im Spiel, vieles ergibt sich aber nach eifriger Besichtigung der Spielwelt. Unfair wird es dabei nie. Kommt ihr nicht auf die Lösung, unterstützt euch der Erzähler mit einem sanften Hinweis, der aber nie aufdringlich wirkt. Unterstützt wird das Spiel von einem malerischen Soundtrack, der jede Situation ideal untermalt.
Kommen wir zu den weniger angenehmen Dingen; Kamera und Steuerung. Die Kamera ist zwar frei schwenkbar, trotzdem wird das Spielgeschehen oftmals unübersichtlich. Das stört besonders bei Sprungpassagen, bei den Kämpfen und wenn der Fokus eigentlich auf Trico liegen sollte.
Die Steuerung wirkt zu Anfang sehr hakelig. Noch nach Stunden kann es passieren, dass man X drückt, dabei liegt der Sprungknopf auf der Dreieck-Taste und schon startet man vom letzten Kontrollpunkt. Wenigstens sind die Ladezeiten sehr kurz gehalten. Der Junge läuft ohne Probleme durch die Welt und das auch sehr realistisch. Nur die Ragdoll-Effekte sorgen für den ein oder anderen komischen Moment. Auch beim Klettern auf Trico stören sowohl Kamera, als auch Steuerung ab und zu.
Auf die Technik kommt es in diesem Fall nicht an
Die liebe Technik. Hier gab und gibt es wohl die größte Kritik an The Last Guardian. An einigen Stellen bricht die Framerate stark ein (Review auf einer alten PS4). Insgesamt kann das Spiel nicht mit aktuellen Top-Titeln auf der PlayStation 4 mithalten. Dafür gibt es schöne Lichteffekte und eine tolle Weitsicht. Trico bewegt sich realistisch und ist super designed. Federn fliegen beim Kratzen und Springen weg, Blut ist auf dem Gefieder zu sehen und wird erst durch Wasser wieder abgewaschen (oder durch Futter). Grafisch ist es trotzdem weit genug von seinen PS3-Wurzeln entfernt.
Sieht man sich Ico und Shadow of the Colossus an, die mit denselben Problemen zu kämpfen hatten, wird eines klar: die Technik steht nicht im Mittelpunkt. Der Fokus liegt auf zwei verlorenen Seelen, die in einer unbekannten Welt gefangen sind. Das Band zwischen dem Jungen und Trico entwickelt sich von Spielminute zu Spielminute. Man fiebert mit, egal ob es sich um einen waghalsigen Sprung oder eine der wenigen Zwischensequenzen handelt, die cineastisch in Szene gesetzt sind.