Ready at Dawn wurde 2003 aus ehemaligen Entwicklern von Naughty Dog und Blizzard Entertainment gegründet. Einen Namen machten sie sich größtenteils mit den PSP-Spielen zu der God of War-Reihe, bevor sich das rund 130 Mann starke Team vor knapp fünf Jahren aufmachte, die erste eigene IP des Studios zu erschaffen. Seit letzten Freitag ist dieses Spiel unter dem Namen The Order: 1886 für die PlayStation 4 verfügbar.
Ein alternatives viktorianisches London, Cyberpunk-Elemente, futuristische Waffen, Werwölfe und eine atemberaubende Grafik? Im Vorfeld gab es einige positive Aspekte, die man The Order: 1886 zugutehalten konnte. Allerdings wurde auch zahlreiche Kritik laut. Die Balken stören, es gibt zu viele Quick Time Events (QTEs), der Spielfluss wird von der Inszenierung unterbrochen, und die Spieldauer soll zu kurz ausfallen. Ist die Kritik berechtigt oder überwiegen am Ende die positiven Merkmale? Lest hier unser Review zum ersten PlayStation 4-Ausflug von Entwickler Ready at Dawn.
The Order vs. Halbblüter
Die Rahmengeschichte von The Order: 1886 startet eigentlich schon mehrere hundert Jahre vor den Geschehnissen im Spiel. Durch genetische Mutation entstanden Lykaner (bzw. Halbblüter) und labten sich an unschuldigen Menschen. Um dem entgegenzuwirken gründete der legendäre König Artus den Orden, um die Menschheit zu beschützen. Die Protagonisten des Ordens sind teils schon mehrere hundert Jahre alt und bestreiten einen scheinbar endlosen Kampf. Durch die industrielle Revolution, die im Spiel anders abläuft – Stichwort experimentelle Waffen – treten aber auch menschliche Gegner auf dem Plan, die Sir Galahad und Co. ebenfalls einen Strich durch die Rechnung machen wollen.1886 befindet sich der Konflikt dann auf dem Höhepunkt. Die eigentliche Geschichte gehört zu den großen Stärken des Titels und soll im Rahmen des Reviews deshalb nicht zu sehr in den Vordergrund rücken. Besonders die etlichen Wendungen überraschen angenehm. Zusammen mit den Verschwörungen, den ruhigen Momenten und den Shooter-Einlagen entsteht dabei ein schöner Mix.
Steampunk London is best London
Als Basis für die durchweg gelungene Inszenierung dient die Hauptstadt des Empires. Im Rahmen der Handlung werden wir in zahlreiche Gegenden Londons versetzt, die schlichtweg atemberaubend aussehen; das gilt sowohl für die Außen-, als auch die Innenareale. Es ist wohl nicht zu hoch gegriffen, wenn man vom bislang schönsten Konsolentitel spricht. Ready at Dawn hat wirklich viel Arbeit in das digitale London gesteckt, an allen Ecken findet man schöne Details. Das macht auch nicht vor den Protagonisten halt. Die Animationen der Ritter sind auf sehr hohem Niveau, auch wenn man am Ausdruck der Charaktere noch hier und da arbeiten könnte. Dagegen fallen die Standard-Feinde leider sehr stark ab, hier haben wir es doch öfters mit Klon-Gegnern zu tun.
Mit zahlreichen technischen Spielereien schaffen es die Entwickler, den Film-Flair nochmals zu verstärken. Die 30fps sitzen bombenfest, kleinere Ruckler konnten wir nicht bemerken. Den neuen Grafikstandard konnte sich RaD durch den Einsatz der Balken erkaufen. The Order: 1886 spielt sich im Cinemascope-Format (2,35:1), was eine nochmalige Annäherung an einen Film erzeugen soll. Hier kann man gespaltener Meinung sein. Viele Leute wird es stören, beim Spielen ist es hingegen nicht negativ aufgefallen. Dafür wird die Aufmerksamkeit viel zu sehr auf die Spielwelt gelenkt. Ein weiterer Pluspunkt auf der technischen Seite ist der Übergang zwischen Cutscene und Spielszene; er existiert nämlich überhaupt nicht (sprich keine Ladezeiten). Völlig flüssig geht der Wechsel vonstatten, so dass man sich einige Male wundert, warum die Zwischensequenz nicht weiter läuft, dabei konnten wir unseren Charakter schon steuern. Solltet ihr in den Gefechten mal das Zeitliche segnen, befinden wir uns quasi sofort wieder im Spiel, die Ladezeiten wurden in diesem Fall auf das Minimum reduziert.
Unterstützt wird das Steampunk Setting natürlich von den futuristischen Waffen, die man in den Kapiteln in die Hand gedrückt bekommt. Besonders das Thermit-Gewehr ist dabei hervorzuheben. Zunächst verschießt ihr das entzündliche Granulat und jagt danach einen Feuerball hinterher, der das ganze entzündet. Leider liefert uns Nikola Tesla nur eine Handvoll der Schießeisen, den Großteil der Schießereien bestreitet man doch mit konventionellen Waffen wie Maschinengewehren, Pistolen oder Schrotflinten.
Cineastische Inszenierung vs. Deckungsshooter Gameplay
Bei The Order: 1886 handelt es sich um ein geradliniges Abenteuer, das euch keine Wahlmöglichkeiten lässt. Das ist aber auch der Baustein für die cineastische Inszenierung, die sicherlich nicht jeden Spielergeschmack treffen wird. Wer nicht dauernd in seinem Spielfluss unterbrochen werden will, wird wohl wenig Spaß haben. Wohl mit der größte Ansatzpunkt für Kritik. Als sogenannter Interaktiver Film funktioniert The Order gut, man wird aber doch sehr stark an die Hand genommen. Die Szenen, in denen man wirklich die volle Kontrolle über den Charakter hat, fallen eher gering aus. Gameplaytechnisch haben wir einen typischen Deckungsshooter als Grundgerüst, der sich sehr solide spielt, aber durch keinerlei Innovation auftrumpft.
Eine besondere Fähigkeit im Gameplay findet sich im Schwarzsicht-Feature. Ist diese spezielle Fähigkeit aufgefüllt und ausgelöst, färbt sich der Bildschirm körnig Schwarz-Weiß und ihr könnt die Feinde in Zeitlupe beharken. Der Einsatz des Schwarzwassers hingegen fällt plump aus. Seid ihr stark getroffen, geht ihr zu Boden und könnt euch nur noch, wenn möglich, in Deckung robben um durch einen Knopfdruck und darauffolgendes QTE wieder zu Kräften zu kommen. Da hätte man sehr viel mehr draus machen können.
Kommen wir zu den gerade schon angesprochenen Quick Time Events. Vor allem in den ersten Kapiteln übertreibt es Ready at Dawn mit dem Einsatz der QTE’s, meistens sind sie aber passend eingebunden. Besonders fordernd ist das natürlich nicht und auch Fehler werden gnadenlos bestraft. Drückt ihr bei einem solchen Event den falschen Knopf, ist Galahad tot und ihr beginnt von vorn. Etwas Abwechslung wird euch in den ruhigeren Momenten geboten. Die Schleichpassagen spielen sich gut, nur die QTE’s hätten in dem Fall nicht sein müssen. Auch ohne die Anzeigen hätte man sich zurechtgefunden.
Leider ist das Spiel insgesamt zu einsteigerfreundlich geworden. Auf „Schwer“ hatten wir keine großartigen Probleme, vor allem auch, weil sich die KI den ein oder anderen größeren Schnitzer erlaubt. Trotz dessen spielt sich The Order: 1886 insgesamt sehr ordentlich, die Waffen und die Gefechte fühlen sich gut an. Das Leveldesign und die Missionsstruktur mögen sehr einfach gestrickt sein, sind aber in sich stimmig und machen Laune.
Als weiteren großen Punkt auf der Haben-Seite kann man den orchestralen Soundtrack verbuchen, der exzellent zum Spielgeschehen passt. Besonders in den späteren Kapiteln entfaltet der Klang seine volle Bandbreite und trägt sehr gut zur dichten Atmosphäre bei. Auch die Charaktere und ihre Vertonung passen wunderbar, so muss das im Jahr 2015 aussehen. Selbst die deutschen Sprecher, die oftmals gegen ihre englischen Pendants abfallen, machen ihren Job gut.
So schön die Spielwelt aber grafisch wirkt, so leblos ist sie auch gestaltet. Es gibt zwar zahlreiche Sammeldinge, diese lassen euch aber nicht tiefer in die Spielwelt eintauchen. Man kann Fotos, Zeitungen, oder Briefe finden, lesen kann man sie hingegen nicht. Hier hätte man noch sehr viel mehr Potential gehabt, um die Hintergrundgeschichte zu erklären. Das nächste Mal bitte mehr Interaktion mit der Spielwelt, etwas mehr Leben auf den Straßen, danke RaD.
Die Spielzeit sollte natürlich nicht unerwähnt bleiben. Über keinen Aspekt des Spiels wurde in den letzten zwei Wochen so viel diskutiert, wie über die Länge. Natürlich verständlich, haben wir es hier ja mit einem reinen Singleplayer-Game zu tun, ohne Co-Op und Multiplayer. Wir brauchten für unseren ersten Durchgang rund acht Stunden, was uns aber nicht zu kurz vorkam. Es mag andere Meinungen geben, aber lieber kürzer und dafür knackig, als langgestreckt und langatmig. Unter der doch eher kurzen Spieldauer und dem Fokus auf den Einzelspieler leidet auch der Wiederspielwert von The Order: 1886. Außer für ein paar Collectibles und/oder Trophäen wird einem kein Grund gegeben, das Spiel in naher Zukunft noch einmal einzulegen.