Wir alle erinnern uns nur ungern an das unsägliche "Enter the Matrix" mit seinen flachen Missionen, der mangelhaften Atmosphäre und den sechseckigen Autoreifen. Man könnte fast annehmen, dass das nachfolgende Projekt "Path of Neo" von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.
Aber Moment mal, so einfach kann das doch nicht sein. Tatsächlich ist es das auch nicht, denn der Titel überrascht ebenso, wie er stellenweise beeindruckt. Path of Neo schraubt das allgemeine Niveau der Filmumsetzungen souverän nach oben. Wie? Mit einer dichten Atmosphäre, abwechslungsreichen Settings, abgefahrenen Moves. Und mit runden Autoreifen.
Storytechnisch wird sich daran versucht, die Trilogie abzurunden und unklare Fragen zu beantworten. Eine Aufbereitung aller drei Filmteile mit Ausschweifungen in die Richtungen, auf die im Film weniger Wert gelegt wurde. Präsentiert wird die Geschichte sehr liebevoll: Spektakuläre Sequenzen aus den Filmen und sogar aus Animatrix gibt es häufig, die Ingame-Sequenzen glänzen mit professioneller Sprachausgabe - inklusive Originalsprecher.
Viele der bekannten Filmmomente wie die Rettung von Morpheus oder Neo gegen hunderte Agenten wurden aufgegriffen und sinnvoll in alle Richtungen erweitert. Zusätzliche Eindrücke aus der Matrix gibt es durch Stadtmissionen, bei denen das Ambiente und die dahinter steckende Geschichte unter Anderem von japanisch angehauchten Orten über eine Bibliothek und einen Kirchturm varriiert. Genau hier liegt das Problem, mit dem die Storyline zu kämpfen hat. Oftmals chaotisch wurden Film- und Ingamesequenzen zusammengeschnitten, Zusammenhänge sind oftmals unklar.
Stellenweise wirkt Path of Neo wie ein Puzzle, bei dem einige Teile fehlen - und wer die Filmvorlagen nicht kennt, der erhält tausende Puzzleteile ohne Öffnungen und somit ohne Chance, die Geschichte rund um die Matrix begreifen zu können.
Aber das ist nachvollziehbar, denn der Titel will die Trilogie nicht von vorne bis hinten durchkauen, sondern abrunden und stellenweise ergänzen. Schlussendlich gipfelt das Abenteuer in einem neuen Ende für die Trilogie.
Wenn wir uns einem Feind nähern, die Zeit verlangsamen und ihn entgegen der Gravitation gen Decke schleudern, auf dem Höchstpunkt stoppen und ihn kraftvoll zu Boden werfen, dann ist das Matrix in Höchstform. Rund fünfzig verschiedene spektakuläre Moves aus der Saga können - oft genauestens aus der Filmvorlage entnommen - ausgeführt werden. Das sieht nicht nur atemberaubend aus, sondern stellt auch ganz klar den Fokus dar, den sich Path of Neo setzt. Kämpfen.
Und eben das gelingt absolut. Während die wenigen Sprungpassagen eher halbgar erscheinen und sich auch die Stealthelemente nicht wirklich einfügen wollen, freut man sich als Spieler stets auf die nächste Chance, feindlich gesinnte Polizisten oder Agenten fertig zu machen.
Gekämpft wird in der Luft, an Wänden, an der Decke und irgendwo dazwischen. Dabei ist der Kampfstil absolut einzigartig - und genau das macht die Kämpfe so faszinierend: Die Gravitation zu überlisten, Kugeln auszuweichen und kopfüber in alle möglichen Richtungen zu feuern, begeistert.
Die "Bullet-Time", also das Verlangsamen des Spielgeschehens, kann solange die Fokus-Leiste aufgefüllt ist aktiviert werden. Danach muss Neo kurzzeitig ohne den Zeitbonus auskommen und bedient sich dann zahlreicher Schuss- und Nahkampfwaffen.
Das komplette Spielgeschehen gerät selten mal ins Stocken - oder, schlimmer: Neo weigert sich kurzzeitig, Befehle auszuführen. Glücklicherweise passiert auch das nicht allzu häufig.
Dabei ist die Steuerung ansonsten tadellos umgesetzt: Jeder Knopf hat seine Funktion, komplexe Combos sind dank dem umfangreichen Kampfsystem problemlos möglich.
Grafisch wurde mehr Wert auf Effekte als auf Texturen oder Charaktermodelle gelegt - Spiegelungen, verlangsamte Patronen, der berühmte Matrix-Effekt mit den leuchtend grünen Codeausschnitten und zahlreiche weitere Spielereien sehen ebenso wie ein Teil der zerstörbaren Umgebung fantastisch aus. Platte Gegnermodelle und karge Levelabschnitte tun das hingegen nicht. Allerdings beeindruckt die schiere Anzahl an Gegnern, die gleichzeitig auf der Bildfläche auftauchen können.
Wirklich negativ anzurechnen ist aber besonders die Mimik der Charaktere. Starr und leblos passt der Gesichtsausdruck von Neo und seiner Crew nur selten zur energischen Sprachausgabe. Das ist zwar ein Negativpunkt, vor Allem bezüglich der Atmosphäre. Durch geschickte Schnitte und Kamerafahrten in den Zwischensequenzen wird die mangelhafte Mimik aber weitesgehend retuschiert.
Außerdem gibt es desöfteren einige Kameraprobleme. Zwar wird Neo und die Umgebung je nach Kameraperspektive transparent und somit relativ übersichtlich, gegen seltene chaotische Perspektiven hilft aber auch das nicht.
Auf akustischer Ebene überzeugen nicht nur die typischen Synchronsprecher aus den Matrix-Filmen. Auch Soundeffekte und Musikuntermalung gefallen auf ganzer Linie und sorgen für das entsprechend authentische Flair.
Viele versteckte Boni wie ein umfangreiches Making Of und Artworks bieten überdies genügend Anreiz, den Titel nach dem Durchspielen nochmals einzulegen.
