Digital First - Eine Zeitenwende bei Nintendo
Nintendo-Fans sind seit Jahrzehnten von ihrem Lieblingshersteller verwöhnt: Kaum ein anderer Entwickler und Publisher pocht bei seinen 1st und 2nd Party Produkten so sehr auf ein möglichst gutes Spiel mit hohem Polish zum Release. Die Folge davon war, dass viele Gamer bei Nintendo-Spielen seit Jahrzehnten bedenkenlos die Cartridge kaufen und ohne große Day1-Patches loszocken konnten, während es bei anderen großen Publishern immer wieder massive Probleme zum Lauch gibt. Selbst Multimillionen-AAA-Projekte von CD Project Red, Bethesda, Microsoft und Activision Blizzard bekamen gigantische Shitstorms ab, weil ihre Spiele im Releasezeitraum fast gar nicht oder nur mit massiven Bugs spielbar waren.
WiiU: Die erste Nintendo-Konsole, die große Digitalgames und Patches zuließ
Diese Philosophie von Nintendo harmonierte sehr gut mit vollständigen Spielen auf Cartridges oder Disc: Während bei Microsofts Xbox 360 bereits 2006 unfertige Spiele mit Day1-Patches gerettet werden konnten, dauerte es bei Nintendo eine ganze Generation länger: Erst 2012 durfte man bei der WiiU Spiele patchen. Zuvor mussten "kaputte" Spiele auf Wunsch des Kunden oder in seltenen Fällen auch auf Druck von Nintendo durch eine gepatchte physische Version ausgetauscht werden.
Game-Key Cards - Lizenz per Cartridge
Game-Key Cards sind an sich keine schlechte Idee: Die Nintendo Switch 2 benötigt Cartridges mit schnellen Leseraten (Leaks sprechen von 500 Mb/s). Die Folge ist die gleiche, die dem Nintendo 64 vor knapp 30 Jahren einen entscheidenden Wettbewerbsnachteil gegenüber der Playstation eingebracht hat: Die Produktion der Cartridges ist aufwändig und teuer im Vergleich zu Discs. Dies macht die Spiele sowohl für den Publisher in der Produktion als auch für den Kunden im Handel teurer.
Als Folge davon hob Nintendo die Preisbindung auf: eShop-Spiele dürfen erstmals günstiger sein als ihre physischen Counterparts, gelegentlich sind Digitalspiele also günstiger. Das verärgert natürlich den stationären Handel: Spiele für die Xbox Series X|S sind aufgrund des geringen Verkaufsvolumens bereits aus vielen Elektronikmärkten verschwunden. Bei Sony und Nintendo schrumpft das Angebot vor Ort seit Jahren deutlich und wird stattdessen durch Gaming-Merchandise ersetzt.
Um sich den Platz im Regal günstig zu sichern griffen Publisher bereits zu Switch-Zeiten zu diversen Kniffen: Ein 22GB-Spiel wurde z.B. auf 8GB Cartridges ausgeliefert, der Rest musste heruntergeladen werden. Andere Publisher legten von vornherein nur einen Downloadcode für den eShop in die Box. Diese Spiele konnten trotz physischer Version wegen der Accountbindung nicht weiter verkauft und auch nicht verliehen werden.
Hier greifen die Game-Key Cards ein: Sie enthalten eine stationäre, nicht accountgebundene Lizenz mit Donglefunktion (Kopierschutz), mit der jederzeit das Spiel auf jeder beliebigen Konsole heruntergeladen werden kann. Das hat Vorteile für den Publisher: Ein kleines Game wie "Barbies Dreamhouse 2" und "Mein neuer Ponyhof" versinkt nicht im Shovelware-Sumpf des eShops und kann nun von Oma zu Weihnachten als digitale Version zu einem fairen Preis in bunter Hülle mit Schleife an die Enkelin verschenkt werden. Wenn die Enkelin es durchgespielt hat, kann diese es später an ihre beste Freundin weiterverschenken oder mit ihrem Miitopia 2 tauschen. Eine Win-Win-Situation.
Warum Publisher die Game-Key Card bevorzugen
In der Praxis sieht es jedoch ganz anders aus: Die Publisher wissen, dass viele Spieler informiert sind und nur wenige den 10€ Aufpreis für eine physische Version zahlen werden. Daher erscheinen nahezu alle 3rd-Party-Spiele von vornherein nur noch als Game-Key Cards. Auf ein weiteres Problem machte CD Project Red aufmerksam: Nintendo startet wohl nur mit 32GB und 64GB Cartridges. Sowohl kleinere als auch größere Cartridges sind aktuell wohl nicht zu haben. Kleine Games bei Indie-Publishern sind also im Gegensatz zu anderen Konsolen aufgrund der prozentual deutlich höheren Kosten klar im Nachteil und werden - wenn überhaupt - nur bei großem Erfolg eine physische Version nachliefern. Ports von AAA-Games anderer Konsolen müssten hingegen erst mal aufwändig verkleinert und komprimiert werden. Eine Game-Key Card macht es den großen Publishern einfacher, diesen Zusatzaufwand zu sparen.
Ein Horroszenario für Sammler, zukünftige Retro-Gamer und Bewahrer von Videospielen
Die Folge: Selbst AAA-Spiele erscheinen auf Switch 2 nicht nur günstiger "digital first", sondern erstaunlich oft digital-only, um Kosten zu sparen. Gemeinsam mit Nintendos Tendenz, ihrem Onlineservice beim Erscheinen des Nachfolgers sehr schnell den Stecker zu ziehen, ergibt sich eine düstere Zukunft für Spieler, die auch 15 Jahre später ihre Spiele noch mal genießen möchten.
Dass dieses Horrorszenario zur Realität werden könnte, zeigt ein Blick auf die Vorbestellungen der Switch2- Spiele: Bis auf Cyberpunk 2077 von CD Project Red gibt es bisher keinen 3rd Party - Publisher, der eine vollständige Version auf der Cartridge für Japan bestätigt hat. Für Rune Factory: Guardians of Azuma von Marvelous Games übernimmt Nintendo den Vertrieb: Es erscheint auf einer 64GB Cartridge.