Das japanische Rollenspiel Bravely Second: End Layer erscheint dieser Tage in Europa und ist aufgrund der gefühlten Ewigkeit zwischen dem Release in Japan und in unseren Breitengraden vermutlich der aktuell meisterwartete Titel für Nintendos Handheld 3DS. Im Land der aufgehenden Sonne erschien der Titel schon im April 2015 – ein Import wäre natürlich jederzeit möglich gewesen, wenn auch aufgrund der vermutlich überwiegend vorherrschenden Sprachbarriere und des Region Lock eher schwierig. Nun erscheint also der lokalisierte Titel (Sprache in Englisch, Untertitel und Menüs in Deutsch) bei uns und wir können uns in diesem Test eingehend mit dem Nachfolger von Bravely Default beschäftigen.
Zu Ehren der Kristallwache
Der Einstieg in das Spiel beginnt mit einem Intro, das die Hintergründe erklärt, welche zum Status quo führten. Ohne zu viele Details der Hintergrundgeschichte spoilern zu wollen: Der böse Kaiser hält Agnès Oblige, die einigen von euch noch als Heldin aus dem ersten Teil bekannt vorkommen dürfte, in seiner Himmelsfestung gefangen. Wir schlüpfen in die Rolle des Hauptprotagonisten Yew, der die Kristallwache mit neuen und altbekannten Gefolgsleuten reaktiviert, um Agnès zu retten und für Recht und Ordnung in Eternia zu sorgen. Für Menschen wie den Verfasser dieser Review, die Bravely Default nicht gespielt haben, erscheint all dies anfangs etwas irritierend; es darf jedoch Entwarnung gegeben werden: Der (Quer-)Einstieg gestaltet sich recht unkompliziert und auch ohne Vorwissen steckt man bald tief in der Story um Verrat, Ehre und Rache und die Rettung eines ganzes Reiches. Es wird viel erklärt, demonstriert und gesprochen und so sind die ersten Spielstunden am ehesten als umfangreiches und motivierendes Tutorialsystem anzusehen.
Wie im Vorgänger (und dem großen geistigen Vorbild Final Fantasy 7) bewegen wir unsere Spielfigur über eine Weltkarte und werden in Zufallskämpfe verwickelt, wobei die Häufigkeit der zufällig stattfindenden Konfrontationen eingestellt werden kann. Wie gewohnt ist man anfangs zu Fuß unterwegs, steigt allerdings schnell im Spielverlauf auf alternative Beförderungsmittel um. Während die Weltkarte frei einsehbar ist, sind andere Bereiche labyrinthartig und müssen nach und nach aufgedeckt werden.
Im Spiel selbst stechen allem voran die teils traumhaft schönen Umgebungen und der grandios eingesetzte 3D-Effekt ins Auge. Und mag der 3DS technisch noch so limitiert sein: Bravely Second: End Layer ist ein wunderschönes, teils fast schon künstlerisch wertvolles Spiel geworden. Die große Stärke im visuellen Bereich ist hierbei nicht die Darstellung von Charakteren und Monstern, sondern die feine und detailgetreue Abbildung der Umgebungen und Städte. In vielen Teilbereichen des Spieles zoomt euer Handheld, sobald die Spielfigur ein paar Sekunden still steht, automatisch vom Geschehen weg, was uns gerade in den Städten phantastische Momente beschert. Ich habe lange nicht mehr ein so schönes 3DS-Spiel gesehen. Die musikalische Untermalung kann sich ebenfalls sehen lassen. Der Soundtrack bietet ein breites Sammelsurium von verschiedenen Musikstilen, so dass sich harte Gitarrenriffs, Streicher und selbst mittelalterliche Flötentöne abwechseln. Die intermittierend gebotene (englische!) Sprachausgabe kann sich durchaus hören lassen, auch wenn sie leider fast ausschließlich in den Zwischensequenzen zum Einsatz kommt. Die Sprecher hören sich allesamt professionell an, die deutschen Untertitel passen zu den gesprochenen Worten – auch hier haben die Silicone Studios alles richtig gemacht.
Das Kampfsystem ist das Herzstück von Bravely Second. Es ist einerseits eingängig und schnell zu erlernen, bietet aber andererseits eine große Menge an taktischen Finessen, was es durchaus anspruchsvoll macht. Beginnt ein Kampf, wobei der oder die Gegner immer auf der linken Seite des oberen Screens Platz nehmen, während die Helden auf der rechten Seite zum Einsatz kommen, muss sich der Spieler über seine Taktik klar werden.
Jede Figur verfügt über vier Aktionspunkte, die auf einen Schlag ausgegeben oder aufgespart werden können. Stehen unsere Helden einem vergleichsweise schwachen Gegner gegenüber, können alle vier Aktionspunkte für Angriffe, Zaubersprüche, das Einsetzen von Objekten wie Tränken ausgegeben werden. Dies stellt jedoch ein größeres Risiko bei stärkeren Gegner dar, da vier ausgegebene Aktionspunkte bedeuten, dass nun die gegnerischen Einheiten vier Züge lang auf unsere Helden einprügeln können. Daher empfiehlt es sich, die Spielfiguren via „Default“-Befehl in eine Verteidigungshaltung wechseln zu lassen. Somit lassen sie dem Gegner zwar den offensiven Vortritt, haben damit aber die Möglichkeit, bis zu vier Aktionspunkte anzusparen und dann zurückzuschlagen.
Es können vor den physischen Angriffen Verstärkungszauber angewandt werden, ebenso kann die Defensive verstärkt werden. Offensive Angriffszauber sind auf einzelne Gegner oder ganze Gegnergruppen anwendbar und verursachen – natürlich – je nach Gegnertyp unterschiedlich hohen Schaden. Als kleines Bonbon können befreundete Kämpfer über das Internet gerufen werden, diese Funktion war zum Zeitpunkt unseres Tests jedoch nicht verfügbar, so dass auf systemeigene Kämpfer zurückgegriffen werden musste, die das Spiel automatisch bereitstellt.
Nach erfolgreichem Abschluss eines Kampfes ist es oftmals möglich, einen neuen Herausforderer zu „begrüßen“. Dieser Gegner ist oftmals, aber nicht zwingend stärker als der vorige und ihn zu besiegen beschert uns eine mehrfache Anzahl an Erfahrungspunkten. Wenn dieser zweite Kampf jedoch verloren wird, gehen sämtliche XP verloren – auch die des ersten Kampfes. Die Herausforderungskämpfe müssen also stets wohlüberlegt sein und lassen sich bis zu hohen Erfahrungspunkte-Multiplikatoren fortsetzen – eine feine Sache, gerade da in diesem Spiel praktisch gegrindet werden muss, um gegen die teils bockschweren Bossgegner zu bestehen. Ob man seine Helden auf eine ausreichende Stufe für den jeweiligen Spielbereich gelevelt hat, wird übrigens ingame angezeigt.
Apropos leveln: Nicht nur der allgemeine Rang der Charaktere kann aufgewertet werden, sondern auch deren Charakterklassen, „Jobs“ genannt, die sich bei Bedarf wechseln lassen. Das Angebot an Jobs reicht vom Zauberer über Astrologen bis hin zum ordinären Schwertkämpfer. Die schiere Menge mag in manchem Moment überfordernd wirken, allerdings ist niemand gezwungen, alle Jobs auszutesten und entsprechend hochzuleveln. Wie die Party ausgerüstet und taktisch auf die Kämpfe vorbereitet wird, bleibt jedem Spieler selbst überlassen.
Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch erwähnt, dass es Bravely Second: End Layer nicht unzensiert aus aus dem Land der aufgehenden Sonne zu uns und in die USA geschafft hat, bzw. im Falle von Nordamerika noch schaffen wird, denn in Amerika wird das Spiel erst Mitte April erscheinen. Die sogenannte Tomahawk-Klasse, die - wie der Name vermuten lässt - an amerikanische Ureinwohner erinnert, wurde durch die Hawkeye-Klasse ersetzt. Ob es nun moralisch besser ist, mit Cowboys statt Indianern im Team zu kämpfen, darf gerne jeder für sich selbst festlegen. Wenigstens leidet das Spiel an sich nicht darunter.